Rezension

Nicolas Jaar

Sirens


Highlights: The Governor // No // History Lesson
Genre: Retro-Future-Pop // Experimental
Sounds Like: Trentemøller // Darkside

VÖ: 14.10.2016

Viele lang erwartete Alben sind dieses Jahr erschienen, doch bei kaum einem war die Spannung so groß, war so wenig abzusehen, was sich darauf wiederfinden würde, wie bei „Sirens“. Denn Nicolas Jaar ist ein Mann der sorgfältig gewählten Klänge und Arrangements. Ob dieser mit seinem Freund Dave Harrington zuerst seine eigene und später die Musik der gemeinsamen Band Darkside live auf die Bühne brachte oder mit „Nymphs“ oder „Pomegranates“ (beide wurden von Jaar im Nachhinein zu eigenständigen Alben deklariert) die Grenzen zwischen elektronisch-treibenden und ambientartigen Strukturen verwischte: Stehen zu bleiben oder sich gar zu wiederholen, scheint dem 26-jährigen New Yorker mit chilenischen Wurzeln fern zu liegen.

„Sirens“ kündigt sich als politisches Statement und als Reflexion Jaars eigener Vergangenheit an. Bereits das Coverbild (ein Foto einer Installation seines Vaters und Künstlers Alfredo Jaar) verweist mit seinem Slogan „Ya dijimos no pero el sí está en todo“ („Wir haben Nein gesagt, aber das Ja begegnet einem überall“) auf das Chile der Pinochet-Ära. Ein Referendum leitete 1988 mit einem „No“ das Ende der Diktatur ein, doch der Slogan drückt aus, dass sich das Denken in den Köpfen der Gesellschaft nicht in gleicher Weise radikal vollzog. Im Song „No“ des Albums singt Nicolas Jaar folglich auf spanisch über Widerstand und Desillusion. Aufnahmen, die Unterhaltungen Jaars als Kind mit seinem Vater zeigen, finden sich zudem als Einspieler auf der Platte und bilden einen persönlichen Rahmen.

Musikalisch zeigt sich Nicolas Jaar experimentierfreudig. „Killing Time“ oder „Leaves“ erhalten sich zwar jeweils noch den zuletzt typischen sphärischen Sound des jungen Produzenten, doch „The Governor“ ist im Vergleich schon deutlich ambitionierter. Mit dem Drive eines Rockabilly-Songs startend, zerhacken erst Garage-Beats das Stück, ehe ein Jazz-Piano, die Ruhe selbst, das virtuos von der Leine gelassene Saxophon einfängt. Nie scheint Nicolas Jaar bislang so viele Stile in so kurzer Zeit vereint zu haben. Und so geht es weiter. In „No“ wartet Jaar mit Reggaeton auf, „History Lesson“ versprüht den Flair einer frühen Epoche des Rock’N’Roll und Doo Wop. Bis zum Anschlag aufgerissenen Synth-Rock hält „Three Sides Of Nazareth“ parat. Mit visionärer Sicherheit lenkt Nicolas Jaar so seinen Sound, der sich diesmal im einzelnen aus Zitaten der Vergangenheit zusammensetzt, in neue Bahnen. Er bleibt damit auch weiterhin eine Marke für sich.

Jonatan Biskamp

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