Seth und Scott Avett zählen wohl zu den bodenständigsten Typen, die sich im Musikgeschäft herumtreiben. Seit Jahren veröffentlichen die beiden Brüder aus Concord, North Carolina mit Bob Crawford am Bass als „The Avett Brothers“ ein Album nach dem nächsten, touren rastlos kreuz und quer durch die USA - ja, sie führen ein Leben als Vollblutmusiker, wie es im Buche steht. Obwohl der große Durchbruch auf sich warten lässt, machen sie unermüdlich weiter und scheren sich um Erfolgsaussichten ebenso wenig wie um Genrekonventionen. Von Bluegrass über Punk, Country, Folk und Ragtime bis hin zu 60s-Pop streifen die leidenschaftlichen Songs der Brüder so ziemlich jede Musikrichtung. Entscheidend für sie ist allein die Aussagekraft der Songs.

Irritierend, ja gar widersinnig erschien da letztes Jahr die Nachricht, dass die Avett Brothers einen Vertrag bei einem Major-Label unterzeichnet haben. Würden sie ihre Ideale aufgrund der Aussicht auf den großen Erfolg verraten? Musste man um die Vielfalt und Aufrichtigkeit ihrer Musik bangen? Der Gedanke an die vielen unsäglichen kommerziellen Country-Kapellen, die einem da in den Sinn kommen, ließ einen schaudern. Dass ein solcher Schritt aber nicht unbedingt eine Einschränkung der künstlerischen Freiheit bedeuten muss, sondern im Gegenteil sogar ganz neue Möglichkeiten eröffnen kann, zeigt das nun vorliegende „I And Love And You“. Die Avett Brothers sind im Mainstream angekommen, auch wenn das so mancher Fan der frühen Stunde nicht wahrhaben mag. Für alle anderen sollte dies aber ein Grund zur Freude sein, denn „I And Love And You“ ist ein dramatisches, hymnisches und mitreißendes Album geworden, das es verdient hat, von so vielen Menschen wie möglich wahrgenommen zu werden. Das erste, was einem beim Hören von „I And Love And You“ auffällt, ist, dass es hier viel geruhsamer zugeht als auf den ungeschliffenen Vorgängeralben. Das Klavier läuft dem Banjo zunehmend den Rang ab, Cellist Joe Kwon glättet mit seiner lieblichen Begleitung so manche Kanten, und wildes Geschrei bekommt man nur noch in wenigen Momenten zu hören.

Dass „I And Love And You“ trotz einer gewissen Distanz zu den musikalischen Ursprüngen der Band nicht beliebig und harmlos klingt, ist insbesondere zwei Stärken der Avett Brothers zu verdanken, die dieses Album bis dato zu ihrem Besten machen: Das Songwriting ist disziplinierter, aber nicht weniger ideenreich als in alten Tagen, und der Gesang ist nicht nur souverän und kraftvoll, sondern in seiner Inbrunst so ergreifend, dass man einfach zuhören muss. Wenn beispielsweise in „January Wedding“, das mit seinem quirligen Banjo eigentlich recht munter daherkommt, Seth Avett unvermittelt mit Zeilen aufwartet wie I hope that I don't sound too insane when I say / There is darkness all around us / I don't feel weak but I do need sometimes for her to protect me, trifft das einen direkt ins Herz. Solche Verse mögen, wenn man sie auf dem Papier liest, etwas Kitschiges an sich haben, sind aber in ihrem Vortrag so hemmungslos aufrichtig, dass man dankbar ist, dass es solche Musik gibt. Eine weitere Analyse der Songs dieses Albums scheint hinfällig, weil es eigentlich nichts zu erklären oder zu verstehen gibt. „I And Love And You“ besteht aus dreizehn Songs, die alle ihre ganz eigenen Stärken entwickeln und alle ihre Momente haben, in denen man sich das Schmunzeln nicht verkneifen kann. Es sind die Augenblicke, in denen die Stimmen der beiden Brüder eine ganz besondere Spannung erzeugen, die frechen Tempowechsel, die manchmal schon fast übereifrig wirken und nicht zuletzt die geschickten Zitate verschiedener Musikstile, die „I And Love And You“ so abwechslungsreich und unterhaltsam machen. Und dank Rick Rubins Einfluss, der sich für die Produktion des Albums verantwortlich zeigt, bewegt sich alles in geregelten Bahnen, so dass für die Avett Brothers zum ersten Mal das Konzept „Album“ voll und ganz aufgeht, ohne dass die Energie und Spielfreude der Band auf der Strecke bleibt. Was die Avett Brothers mit „I And Love And You“ geleistet haben, ist wirklich außerordentlich. Sie standen an einem Punkt in ihrer Karriere, an dem man so viel hätte falsch machen können – und haben alles richtig gemacht.

Kilian Braungart

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